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Was Industrie 4.0 wirklich bedeutet

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Man hört ihn auf Fachmessen und in Talk Shows, liest ihn in Zeitungsartikeln, wissenschaftlichen Studien und Regierungsprogrammen. Seit der ehemalige SAP-Vorstand Henning Kagermann und andere vor sieben Jahren den Begriff „Industrie 4.0“ prägten, hat er sich schnell als Schlagwort in Digitalisierungsdebatten durchgesetzt. Was unter Industrie 4.0 genau zu verstehen ist, ist dabei nicht immer ganz klar. Insofern ist der „Industrie 4.0 Maturity Index“, den die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) im vergangenen Jahr vorstellte, auch ein Versuch, die Diskussion um die digitale Transformation der deutschen Industrie auf eine solide theoretische Grundlage zu stellen.

Die Verfasser plädieren für ein umfassendes Verständnis von Industrie 4.0, das nicht nur technologische Innovation, sondern auch den Wandel der Firmenkultur, der Strukturen und der Arbeitsprozesse mit einschließt. Anders als der Titel vermuten lässt, handelt es sich nicht um eine empirische Untersuchung, sondern um einen Leitfaden, mit dem Unternehmen ihren digitalen Status Quo bestimmen und eine Roadmap für den digitalen Wandel entwickeln sollen. Oder – wie der Untertitel treffend formuliert – „die digitale Transformation von Unternehmen gestalten“ können.

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Industrie 4.0 führt zu einer tiefgreifenden Transformation

Mehr als 50 Wissenschaftler und Wirtschaftsleute waren an dem Projekt beteiligt. Günther Schuh, Inhaber des Lehrstuhls für Produktionssystematik an der RWTH Aachen, leitete das Vorhaben. Das Vorwort stammt vom bereits erwähnten Henning Kagermann, der acatech bis vor kurzem noch als Präsident vorstand und seit Jahren großen Einfluss auf die deutsche Industriepolitik ausübt. Schon allein deshalb lohnt es sich, genauer hinzuhören, was er zu sagen hat.

Kagermann moniert, dass Industrie 4.0 oft zu kurz gedacht wird. Sie entstehe „nicht aus der bloßen Vernetzung von Maschinen und Produkten“, sondern habe einen „Paradigmenwechsel“ zur Folge.

„Das übergeordnete Ziel ist das lernende, agile Unternehmen, das sich einer wandelnden Umwelt kontinuierlich anpassen kann.“

schreibt Kagermann. Industrie 4.0 bringt – so verstanden – nicht nur Effizienzgewinne, sondern führt zu einer tiefgreifenden Transformation.

Ein Reifegrad-Modell mit sechs Entwicklungsstufen

Was das im Einzelnen bedeutet, spielt die Studie anhand von Gestaltungsfeldern und Unternehmensbereichen gedanklich durch. Der digitalen Standortbestimmung dient ein Reifegrad-Modell mit sechs Entwicklungsstufen, die hier kurz vorgestellt seien.

Stufen 1 und 2 heißen „Computerisierung“ und „Konnektivität“. Die Computerisierung meint den isolierten IT-Einsatz vom Computer in der Buchhaltung bis zur CNC-Fräsmaschine. Stufe 2 ist erreicht, wenn diese Hardware per Internet miteinander verbunden ist. Die ersten beiden Stufen sind die technische Voraussetzung für das, was die Verfasser unter Industrie 4.0 im engeren Sinn verstehen.

Stufe 3 – „Sichtbarkeit“ genannt – ist erreicht, wenn alle Maschinen und Geräte durch Sensoren erfasst werden und einen „digitalen Schatten“ werfen – also ein digitales Abbild dessen entsteht, „was im Unternehmen passiert“. Diese mit Big-Data-Software zu analysieren, sehen die Studienautoren als die nächste Entwicklungsstufe („Transparenz“).

Erst auf dieser Grundlage lassen sich Zukunftsszenarien entwickeln – das ist die Stufe 5, „Prognosefähigkeit“ genannt. Durch sie werden Maschinen in die Lage versetzt, Arbeitsprozesse selbstständig zu optimieren – womit die höchste Entwicklungsstufe erreicht ist, die „Adaptierbarkeit“.

„Das Ziel der Stufe sechs ist erreicht, wenn … Entscheidungen mit den größten positiven Auswirkungen autonom und ohne menschliches Zutun in kürzester Zeit getroffen und … umgesetzt werden.“ [eine Grafik des Modells findet sich auf Seite 16].

Der „Index“ weist auf den digitalen Notstand hin

Für viele dürfte eine Arbeitswelt, in der künstliche intelligente Roboter selbständig über die nächsten Schritte entscheiden, heute noch etwas unheimlich klingen. Doch Sinn und Zweck des Reports ist es nicht, der breiten Öffentlichkeit die Angst vor der Digitalisierung zu nehmen. Es ist ein abstrakter, dicht geschriebener Leitfaden für Unternehmen, den Kagermann laut Handelsblatt auch als „Weckruf“ verstanden wissen will. Anders ausgedrückt: Der „Index“ weist auf den digitalen Notstand hin, auf den auch wir mit unserer Initiative aufmerksam machen.

 

Die acatech Studie "Industrie 4.0 Maturity Index" kann hier heruntergeladen werden.

 

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Headerbild: AdobeStock © fatihyalcin